Unser Redebeitrag vom 8.März 2019

Liebe Streikende!
Heute vor einem Jahr fanden zahlreiche feministische Proteste, Demonstrationen, direkte Aktionen und Streiks statt. In mehr als 40 Ländern auf der ganzen Welt, unter anderem in Spanien, den USA, Südkorea, Italien, Polen und Argentinien, sind vor allem Frauen, aber auch trans, inter und nicht-binäre Menschen auf die Straße gegangen. Sie protestierten gegen Gewalt und Unterdrückung, gegen Einschränkung ihrer reproduktiven Rechte und gegen herrschende Ungleichheiten und Diskriminierung in der Arbeitswelt. Obwohl im Zuge des Rechtsrucks feministische Bewegungen und ihre Errungenschaften bekämpft werden, schließen sich immer mehr Menschen diesen Protesten an.

Diese entstehende Streikbewegung kommt nun endlich auch in Deutschland an.

Auch wir, die Freie Arbeiter*innen Union Leipzig sind dabei!

Mit dem Streik als Kampfform werden wir an den Orten aktiv, an denen wir arbeiten, um das Geld zu verdienen, das wir brauchen um zu überleben. Bei einem feministischen Streik geht es auch um alltägliche und grundlegende Arbeitsformen wie unbezahlte Sorgetätigkeiten in Familie, Haushalt und Beziehung, welche meistens den Frauen aufgrund ihres Geschlechts zugeteilt werden.

Verbesserungen der eigenen Lebens- und Arbeitsbedingungen wie auch grundlegende Veränderungen unserer Gesellschaft werden nicht durch Appelle an Politik oder Arbeitgeber erreicht, sondern durch Arbeitskämpfe. Streiks waren und sind ein wirkungsvolles Mittel, um unsere Ziele durchzusetzen. Durch den Entzug unserer Arbeitskraft können wir viel mehr Druck ausüben als mit einer Demonstration oder Petition. Ganz einfach, weil wir dadurch der kapitalistischen Wirtschaftsweise eine der Grundvoraussetzungen für ihr reibungsloses Funktionieren entziehen.

Aber Streiken ist nicht frei von Risiko und diese wie auch andere Arbeitskampfformen entfalten nur dann ihre Wirkung, wenn sie entschlossen und von vielen gemeinsam durchgeführt werden. Eine gute Planung und Verlässlichkeit untereinander sind wesentlich für den Erfolg. Wir können zusammenkommen in Basisgewerkschaften – wie der FAU -, entsprechende Strukturen aufbauen und einander mit Rat und Tat zur Seite stehen.

Die deutsche Rechtsprechung hat eine sehr enge Definition von Streik. Diese bezieht sich nur auf die Arbeitsniederlegungen von abhängig beschäftigten Arbeitskräften (also nicht z.B. „selbstständigen“). Streiks in Deutschland gelten nur als rechtmäßig, wenn eine Gewerkschaft im Tarifkonflikt zu dem Streik aufruft. Streiks außerhalb von diesem eng gesteckten Rahmen sind in Deutschland illegalisiert.

Politische Streiks haben jedoch auch in Deutschland viel zum Guten bewegt. 1920 wurde z.B. ein faschistischer Putsch (der Kapp-Putsch) nur durch einen unbefristeten Generalstreik aufgehalten. Aber kaum ein europäisches Land hat so einschränkende Streikgesetze wie Deutschland.
In vielen anderen Ländern wird das Streikrecht als individuelles Menschenrecht gehandhabt. Schließlich geht es um die Selbstbestimmung über unsere Zeit und Schaffenskraft. Das gilt für politische Streiks, also Streiks in denen man gegen etwas protestiert oder etwas erzwingen will, das nicht nur tarifliche Ziele verfolgt. Und es gilt auch für wilde Streiks, also solche, die unabhängig von Gewerkschaften geführt werden.

Der einschränkende Umgang mit Streiks in Deutschland wurde in der Vergangenheit mehrfach angemahnt, u. a. von der International Labour Organisation (ILO) und dem Ministerkomitee des Europarats.

Durch eine langfristige und hartnäckige Praxis können wir selber, gemeinsam, ganz praktisch mehr Freiheit und Selbstbestimmung erkämpfen, sowohl auf individueller wie auch auf rechtlicher Ebene. Da politische Streiks vielfach ein positiver Motor von gesellschaftlicher Veränderung und ein wirksames Mittel gegen prekarisierende Gesetzgebungen sein können, lohnt sich dieser Kampf für jede*n ganz persönlich.
Eine Gewerkschaft im Rücken ist ein erster Schritt für einen massenhaften Regelübertritt. Sie bietet die Möglichkeit, Kontakte zu Anwält_innen aufzubauen und Kassen usw. zur Sicherheit anzulegen.

Bei allen Schritten hin zu einer mächtigen Streikbewegung sollten wir darauf achten, dass wir nicht einfach voran preschen, sondern unsere Kolleg*innen mitnehmen. Wenn Aktionen keinen Rückhalt haben, gehen sie nach hinten los. Die Stärke der direkten Aktion ist ja gerade, dass sie ein gemeinsames Moment von Gegenmacht und kollektiver Entscheidungsfindung entfalten können, das Lust auf mehr macht, und das Lust darauf macht, die Gesellschaft insgesamt basisdemokratisch umzugestalten.

Allein streikt es sich schlecht! Gemeinsam aktiv zu werden, schützt nicht nur vor Repression – erst durch gemeinsames Handeln wird ein Streik erfolgreich. Klar kannst du krank machen, aber weiß deine Kollegin überhaupt, warum du an dem Tag fehlst oder nimmt sie es dir vielleicht übel, dass du sie hängen gelassen hast?

Vielleicht hast du den Eindruck: In meinem Betrieb ist so was nicht möglich, die Kolleg*innen interessieren sich gar nicht dafür, selbst aktiv zu werden. Aber ist das wirklich so? Oder siehst du es vielleicht nur nicht? Hast du Kolleg*innen, die sich tatsächlich noch nie über ihre Arbeit beschwert haben?
Die gute Nachricht zuerst: Kritische und kämpferische Belegschaften sind keine Glückssache, sondern können aktiv gestaltet werden. Dieser Prozess wird Organizing genannt, und ist zudem rechtlich völlig unbedenklich. Die schlechte Nachricht: Das braucht Zeit und Hingabe. Und jetzt wieder eine gute Nachricht: Das kannst du lernen und du bist damit nicht allein!

Komm mit deinen Kolleg*innen ins Gespräch: Und zwar persönlich und nicht über Flyer. Frag nach, was sie stört und was sie hindert, was dagegen zu machen. Stell mehr Fragen als Antworten. Stell offene Fragen und hör aktiv zu. Versteh ihre Perspektive und nimm sie ernst. Triff dich mit deinen Kolleg*innen nach Möglichkeit auch außerhalb des Arbeitsplatzes. Suche nach Leuten, die engagiert sind und von anderen Kolleg*innen respektiert werden. Bildet eine verbindliche Gruppe zur Organisierung eures Arbeitsplatzes.

In der FAU, als selbstorganisierte Basisgewerkschaft, streben wir danach, unsere Arbeits- und Lebensbedingungen zu verbessern. Das schaffen wir durch gegenseitige Hilfe im Alltag und gewerkschaftliche Kämpfe. Wir streben danach, den Kapitalismus und das Patriarchat zu überwinden. Diese Kämpfe müssen ebenfalls gegen Rassismus und transnationale Ausbeutung gerichtet sein, weil all diese Herrschaftsverhältnisse miteinander verwoben sind.

Unser Ziel ist die Befreiung von jeder Form von Ausbeutung, Unterdrückung und Herrschaft. Streik, das Verweigern von Arbeit (bezahlter wie auch unbezahlter Arbeit), ist dabei unser wirksamstes Mittel. Nur durch kollektives Handeln können wir soziale Emanzipation und Selbstbestimmung erreichen.
Deshalb rufen wir alle zur Beteiligung an der weltweit wachsenden feministischen Streikbewegung auf. Wir solidarisieren uns mit allen von Sexismus betroffenen Menschen weltweit. Wir wollen die alltäglichen Kämpfe unterstützen, egal ob zu Hause, im öffentlichen Raum oder am Arbeitsplatz.

Organisieren wir uns gemeinsam für bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen – für alle!